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Dezentraler Pragmatismus

Anfang Dezember hat Frank auf Google+ auf Mathias Schäfers Artikel zu Sass und Compass hingewiesen. Das haben wir gleich dort lebhaft diskutiert. Jens Grochtdreis bedauerte später, daß die Diskussion auf Google+ stattfand und nicht im Blog. Meine Antwort:

Wichtiger als der Ort der Diskussion ist doch, daß sie überhaupt passiert. Google+ verdeutlicht eben, daß die Idee der zentralen oder kontrollierten Debatte obsolet geworden ist.

Das war schon vorher so, jetzt merkt man es nur besser.

Warum haben wir nicht im Blog diskutiert? Ich kann nicht für andere sprechen, meine Gründe waren recht einfach:

  • Nach dem ersten Kommentar auf G+ entstand eine Folge von Beiträgen, die auf vorhergehende reagiert haben. Man kann nicht sinnvoll irgendwann ins Blog wechseln und dort auf Kommentare in G+ reagieren.
  • Auf G+ läuft die Kommunikation viel schneller. Ja, das Interface ist Scheiße, die Formatierung Glückssache und die Permalinks bestenfalls Schrott. Die Suche funktioniert nicht, das ist schließlich bloß Google. Aber die Antworten kommen schneller, und ich erfahre sofort von ihnen, weil ich keine umständliche Einwilligungsprozedur für entsprechende Hinweise durchlaufen muß.
  • In einem Blog hat man als Kommentator viel stärker das Gefühl, kontrolliert zu werden. Zwar sperrt auch Google immer noch einzelne Nutzer sehr willkürlich, aber einzelne Beiträge werden nur selten gelöscht. Postautoren, die ihnen nicht genehme Kommentare löschen, werden automatisch und zu Recht als Arschlöcher betrachtet. In einem Blog ist das etwas anders.

Alle drei Kriterien sind schwer objektiv meßbar, keines erzwingt einen Diskussionsort. Ich glaube, daß sie relevanter werden, je mehr sich die Interfaces sozialer Netzwerke verbessern.

Für Autoren heißt das: Sie verlieren mehr und mehr Einfluß auf den Ort der Debatte. Oft erfahren sie nicht einmal davon. Das hat schon mit Twitter angefangen. Allerdings kann man dort nur in Fragmenten reden, Diskussionen verpuffen sehr schnell, und sie erreichen nie die Tiefe wie auf Google+.

Okay, alles recht banal. Warum schreibe ich das auf? Weil ich gerade mein Blog inspiziere und sehe: Sieben Artikel im letzten Jahr. Dabei habe nicht weniger geschrieben, eher mehr. Aber eben dort, wo ich mit schnellen Reaktionen rechne: Auf Google+ und WordPress.StackExchange. Im Blog lege ich mehr Wert auf die Qualität der Artikel. Vielleicht zu viel?

Wenn die Diskussion an vielen Orten passieren kann, dann kann ich auch meine Texte an vielen Orten publizieren. Ich kümmere mich weniger um Duplicate content als um die Reichweite meiner Ideen.

Ich werde künftig mehr experimentieren – dazu habe ich das Blog ja eingerichtet. Also werdet ihr hier bald mehr Schnipsel lesen, Unfertiges, das ich allmählich überarbeite, Fertiges, das ich andernorts schon geschrieben habe, und bloße Konzepte für Artikel. Das wird mich einige Überwindung kosten.

Nun will ich nicht einfach das Blog füllen. Ich möchte auch die Leser erreichen, die nicht in den gleichen Netzwerken agieren wie ich, und die nicht gerne englische Texte lesen – meine sind ohnehin oft nicht der reine Genuß. Auch muß ein Text nicht sofort perfekt sein; ich kann und darf ihn irgendwann verbessern.

Das Risiko für mich dabei: Ich kann mich blamieren, weil ich nicht genügend recherchiert habe, weil ich mich schlicht irre oder Seiten von mir zeige, die ihr nicht mögt. So sei es.

4 Kommentare

  1. Kaiser am 01.01.2012 · 17:25

    "Das wird mich einige Überwindung kosten" - Glaub ich auf's Wort. Wenn ich es dann lese.

  2. Frank am 01.01.2012 · 17:37

    Auf die Experimente - gesundes neues Jahr!

    * Bis auf den gelegentlichen Tonverfall, den ich insbesondere im Angesicht deines Wortschatzes, ab und an unpassend finde, freue ich mich auf die neuen Artikel; die Tiefe kommt mit der Lust.

  3. Stefan Münz am 01.01.2012 · 20:53

    Du bist in guter Gesellschaft. Die ehemals unangefochtene Nummer eins unter den deutschen Bloggern, Robert Basic, hat unlängst ganz ähnliches bei sich selber festgestellt. Und schuld ist immer: Google+ :-)

    Ich habe das daselbst auch zum Diskussionsthema gemacht.

    Mir selbst gehts ebenfalls nicht anders. Seit letztem Sommer hänge ich fast nur noch auf Google+ herum. Allerdings war ich auch früher nie ein wirklich konstanter Blogger, und meine Meinung von Google+ (solche Dinge wie das Interface betreffend) ist ein klein wenig positiver als deine :-)

  4. Matze am 02.01.2012 · 13:25

    Das Risiko für mich dabei: Ich kann mich blamieren, weil ich nicht genügend recherchiert habe, weil ich mich schlicht irre oder Seiten von mir zeige, die ihr nicht mögt. So sei es.

    Das kann sicher passieren, aber es heißt ja nicht umsonst, dass Irren menschlich wäre. Ich denke, damit werden auch deine Leser leben können.