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Blogschrott

Wenn uns die jämmerlichen Rückzugszugsgefechte der »alten Medien« in letzter Zeit eines gezeigt haben, dann dies: Weblogs haben sich etabliert.
Was nun? Die Situation nutzen und schnell viel schreiben – wie und worüber auch immer? Eher nicht.

Was ich weder schreiben noch lesen will

Ich auch!

Irgendwas passiert, und wirklich jeder bloggt darüber. Der Mehrwert für den Leser: genau Null. Das einzige spürbare Resultat sind versaute Suchergebnisse, weil die »Autoren« einander verlinken bis zum Koma und sich in das einkuscheln, was sie für »die Blogosphäre« halten.

1-2-3-4-Eckstein

Numerierte Listen: Die 10 Fehler des Bla, 6 Gründe für Blubb, 20 Brocken, die ich Ihnen schon immer auf die Füße kotzen wollte. Bitte!

Listen sind übersichtlich, und oft bringen sie auch mehr Besucher, denn sie versprechen einfache Rezepte. Aber wenn sie dem Gegenstand nicht angemessen sind, offenbaren sie nur die Inkompetenz des Autors. Öde.

Wohlgemerkt: Ich finde es gut, wenn jemand etwas riskiert und sich auch ein bißchen angreifbar macht. Aber dann bitte mit Substanz, mit Argumenten und einer Meinung, nicht mit den falschen Werkzeugen.

Nicht alles ist zählbar. Und mehr Leser belegen keineswegs mehr Qualität.

Orthographie und Grammatik

Dieses Thema brennt gerade in unserer Sprache. Aber ob man nun die klassischen Regeln benutzt oder die reformierten reformierten: Konsistenz und Regeltreue sind Qualitäten, die dem Leser beim Verstehen helfen. Außer Schlamperei und Dummheit spricht nichts dagegen.

Keine Meinung

Ich erwarte nicht, daß jeder zu allem eine Meinung aus dem Hut zaubert. Aber unkommentierte Linklisten oder nackt republizierte Inhalte wecken in mir den Verdacht, daß der Autor sich nicht traut oder das Thema nicht begriffen hat. Schade.

Nur Meinung

Meistens eine Variante der Ich-auch-Texte: »Bla existiert, und ich finde es blöd.« Wer keine neuen Daten, Perspektiven oder Gründe hat – der kann doch einfach mal nichts bloggen. Ist das so schwer?

Beispiele

Ich habe diesen Artikel lange vor mir hergeschoben, weil ich hier niemanden anprangern möchte. Aber ganz ohne Links wäre der Artikel auch … nur Meinung.
Daher seien hier zwei positive Gegenbeispiele zu den angeführten Punkten genannt: Die Blogs von Dirk Jesse und Jens Meiert.
Beide halten sich meistens zurück, bis sie ein Thema gefunden haben, zu dem sie etwas Neues beitragen können. Ich teile ihre Meinungen oft nicht, aber immerhin haben sie eine.

Fazit

Das Wesentliche an Weblogs ist aus meiner Sicht nicht die leicht bedienbare Technik, sondern die Diskussion. Die URL zu einem Blogbeitrag sollte die Adresse für eine fundierte Debatte sein (können). Der Autor legt das Fundament aus Daten und Werturteilen, und dann – wenn es gut läuft – lernen alle ein bißchen voneinander.

Wo das nicht möglich ist, da rede ich nicht mehr von einem Blog – selbst wenn es 10000 Besucher am Tag hat. Und ich vergeude meine Zeit nicht damit.

16 Kommentare

  1. Lennart - daswebdesignblog.de am 25.05.2009 · 16:05

    Es scheint sich momentan eine gewisse Abneigung gegenüber Listen Artikeln durchzusetzen. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Blogger sich über die vielen Listen beschwert.

    Meine Meinung geht in eine andere Richtung: Viele Blogger sind sehr fokussiert auf Traffic, da man mit Werbung einen netten Nebenverdienst haben kann. Dann sind Listen Beiträge einfach das beste Mittel.
    Nimmt man sich nun einen Blogger, der kaum Werbung vermietet (ich), kommt es aber auf das Gleiche raus: Ich mag Kommentare und will, dass meine Beiträge gelesen werden. Wenn ich nun feststelle, dass ich an einem Beitrag wie "Schriften und Webdesign: Beispiele und Tipps" echt lange schreibe und der Beitrag dann nur 70 Besucher nach dem ersten Tag hat, frage ich mich, ob sich die Arbeit gelohnt hat. Eine Liste, wie mein jüngster Artikel, bekommt in den ersten paar Stunden schon mehr Leser als der andere Beitrag an einem Tag.

  2. Thomas Scholz am 25.05.2009 · 16:26

    @Lennart: Die Abneigung ist nicht neu; sie wird jetzt nur lauter, weil diese Listenbeiträge immer mehr werden. Das nervt einfach.

    Und die Menge der Leser ist kein hinreichendes Erfolgskriterium. Diesen Irrtum hättest du auf deiner letzten Liste (die übrigens den Entwurf zu diesem Artikel über die Kante gestupst hat) ganz oben hinstellen sollen.

    Viel wichtiger ist: Wer kommt wieder? Mit wem kann man reden?

    Ich habe sicher weniger Leser als du, aber die sind mir soviel wert, daß ich bei meiner Art zu schreiben bleibe.

  3. David am 25.05.2009 · 17:40

    Auf Lennarts Blog habe ich nun das erste Mal diese berüchtigten Listen gesehen. Das es mich nervt, kann ich also nicht behaupten. Dieses Phänomen, dass solche Listen mehr Besucher bekommen, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Wie erklärt sich das?

    Ansonsten kann ich deine Meinung nachvollziehen, Thomas. Korrekte Orthografie und Grammatik verstehen sich eigentlich von selbst. Wobei ich gestehen muss, dass ich immer so meine Probleme mit alter und neuer Rechtschreibung hab. Aber meine bessere Hälfte liest über jeden Artikel noch mal drüber und findet die letzten Fehler.

    Zu dem Rest: Wenn dich die Blogs nerven, dann schmeiß sie doch einfach aus den Bookmarks.

  4. Peter am 25.05.2009 · 17:50

    Die-100-besten-XYZ-Listen: D‘accord. In 99% aller Fälle bloßes Trafficvehikel ohne Inhaltlichen Mehrwert. Wer es damit übertreibt fliegt auch bei mir blitzschnell aus dem Feedreader.

    "Ich auch": Sehe ich anders. Das kann durchaus legitim sein. Wenn Steve Jobs einen neuen Furz lässt oder eine Zeitung was böses über Blogger schreibt - ok, dann weiß ich auch nicht. Aber beispielsweise beim Thema Zensursula ist das anders. Da hätte man glaube ich ohne zig "Ich auch"-Blogger die Petition nicht so voll bekommen wie sie jetzt. Da kommt es dann, anders als bei einer nerdigen Webtech-Debatte, ja hauptsächlich auf die pure Verbreitung an - und wenn man das unterstützten möchte, aber keine Zeit oder Inspiration hat, das Thema besonders auszuarbeiten, dann weiß ich nicht wo ich da was zu kritisieren finden soll.

  5. Thomas Scholz am 25.05.2009 · 17:51

    @David: Checklisten suggerieren, daß man einfach nur ein paar Punkte abarbeiten müsse, um zum Ziel zu kommen. Das stimmt zwar nie, aber die Hoffnung, mit wenig Mühe etwas zu erreichen, das man sonst nur durch harte geistige Arbeit schafft, lockt immer noch mehr Menschen an als ein langer argumentierender Artikel. Das ist zumindest meine Vermutung.

    Das mit dem Wegwerfen ist nicht so einfach. Ich kriege das Zeug ja auf Twitter oder Delicious immer noch um die Ohren.

    Seit Jahren habe ich ein paar selbstlernende Filter in meinem Newsreader, die mir inzwischen recht zuverlässig interessante Artikel herauspicken. Aber seit einiger Zeit muß ich mehr Blogs abonnieren, um die Menge guter Beiträge konstant zu halten. Das liegt nicht allein daran, daß manches Blog effektiv gestorben ist, sondern auch an der schwindenden Qualität. Schade.

  6. Thomas Scholz am 25.05.2009 · 17:59

    @Peter: Ich sehe durchaus, daß ein Repost manchmal sinnvoll sein kann. Dein Beispiel paßt da sehr gut, und ich habe daher auch deinen Beitrag dazu verlinkt.
    Aber das ist eine Ausnahme. Mich nervt es, wenn »Ich auch!« zum Habitus wird.

    Das ist übrigens der wesentliche Grund, weshalb ich mir einen Beitrag zur jüngsten Debatte um XHTML versus HTML verkniffen habe: Ich habe eine Meinung dazu, aber mit der stehe ich nicht alleine, und neue Daten gibt es nicht.
    Also halte ich meine Klappe. Auch wenn das manchmal schwerer ist, als mich freizuschreiben.

  7. Gerald - hyperkontext am 26.05.2009 · 12:36

    Ich hab da gerade gestern einen interessanten Beitrag aus einer anderen Ecke (eher so die Consulties und Techies) gefunden, der aber zeigt, dass sich das Phänomen offenbar nicht nur auf Webworker-Blogs beschränkt:
    Schluss mit lustig: Bei TechCrunch werden die Leser aufmüpfig

  8. Ingo Chao am 27.05.2009 · 21:11

    Wenn ein Blogartikel über eine Technik nicht zu relevanten Vorarbeiten verlinkt, dann ist das etwas, was ich nicht lesen will.

  9. Anonymous am 28.05.2009 · 18:04

    @toscho
    Da bemängelst du, lieber Thomas, die zu geringe Verwendung der korrekten deutschen Sprache in Blogs (richtig konjugiert? – ich hoffe, das heißt so) und dann sowas ;)
    >Aber ganz ohne Links wäre der Arikel auch … nur Meinung.

    Arikel ist mir kein Begriff, aber Aurikel – Ja! Wer Primeln mag…
    Es ist eben frühlingshaft, das Blogwetter.

    Na, ist eben schnell hingeschrieben. Hat dein Browser keine Rechtschreibung als Addon oder ähnlichem?

    Im Grunde genommen hast du schon Recht, korrekt sollte der Stil im Blog schon sein. Doch wer kennt sich denn so genau mit Grammatik aus? Deutsch ist nicht ohne Fallen. Und nicht jeder Mensch lernt es gut in der Schule.
    Ich beispielsweise neige eher zu schlechtem Deutschstil, glaube ich jedenfalls, wenn ich meine Noten so Jahrzehnte später ins Gedächtnis rufe.

    Ich bin sicher, dass ein Studium der Journalistik enorm schult und auch die eigenen Macken, wenn überhaupt vorhanden, weg bügelt.

    Was die enorme Verwendung von Listen und Aufzählungen in Blogs als Massentipps angelangt, macht mich das auch nicht gerade glücklich. Es ist dann doch zu sehr Massenware. Ich nehme mal an, dass es sehr an der Faulheit mancher Blogger liegt, dass diese Listen vorhanden sind.

    Hmm, was die Ich-Auch-Mentalität angelangt, ist das wohl ein Kilroy_was_here_2.0-Zustand, der da zuschlägt. Es gibt eben Leute, die markieren ihr Revier – nicht nur Kater. ;)
    Ansonsten hat es eher was von Heiße-Kartoffel-zuwerfen bis das Thema kalt geworden ist und schon in 3865 (das mal als fiktive Zahl!) deutschen Blogs beschrieben wurde.

    Eigentlich könnte ich mir auch ab und an diverse Texter-Bibeln an den Kopf werfen, damit mein Schreibstil etwas mehr Schliff bekommt.
    Wenn da die Trägheit nicht wäre.

    Ansonsten mangelt es den meisten Bloggern (mir wohl öfters auch!?) an Beiß…, äähm, Schreibhemmung. Da wird dann schon mal schnell und fröhlich-frei sinnierend der Blogeditor gequält und das Blog vom angstvoll betrachteten täglichen Leerraum befreit.

    Es stellt sich eben die Frage, für wen ein Blog ein Tagebuch ist, eine verknitterte Schreibkladde oder ein Aushängeschild.
    Manche Blogs leben von einer gewissen Bissigkeit und Schärfe, wie auch deines, und mache sind auch weichgespülter Mainstream.

    Oh je, da habe ich jetzt doch soviel geschrieben?!

    Mit friedlichem Gruß
    Lilo

  10. GwenDragon am 28.05.2009 · 18:06

    Wie kann eine nur vergessen, den Namen hinein zu schreiben. Ich habe nicht darauf geachtet, dass das Cookie weg war.

    Gruß
    GwenDragon = Lilo

  11. Thomas Scholz am 28.05.2009 · 18:56

    @GwenDragon: Danke für den Hinweis auf den Tippfehler. Ja, auch mir passiert so etwas. ☺
    Zwar hat Opera eine Rechtschreibprüfung, aber in meiner aktuellen Installation habe ich die noch nicht aktiviert.

    Das Journalistikstudium hat meinen Schreibstil kaum beeinflußt. Ich habe es vor allem deshalb abgebrochen, weil es so praxisfern angelegt war. Mehr habe ich gelernt, als ich für Zeitungen geschrieben habe und oft eine enorme Menge an Informationen in sehr eng begrenztem Raum unterbringen mußte.

    Wenn ich nur ein Buch zu gutem Deutsch empfehlen dürfte, dann wäre das Wolf Schneiders »Deutsch für Profis«. Auch ein sehr träger Mensch wird davon mitgerissen; davon bin ich überzeugt.

    Oh je, da habe ich jetzt doch soviel geschrieben?!

    Genau dazu soll das Formular ja ermuntern. Funktioniert.

  12. GwenDragon am 28.05.2009 · 21:04

    @Thomas Scholz:
    Ah, danke für den Buchtipp.

    Hast du noch ein paar Buchtipps für gutes Texten?
    Du könntest ja mal ein Sparte dazu aufmachen, wenn du Zeit hast. Eine Buchliste wäre auch schön.

  13. Thomas Scholz am 28.05.2009 · 23:51

    @GwenDragon: Ursprünglich sollte dieses Blog ja Design und Sprache behandeln – darauf will ich künftig wieder achten. Bücher zum Umgang mit der deutschen Sprache habe ich zuhauf gelesen und gekauft; ein paar Rezensionen sollte sich schon hinbekommen.

  14. GwenDragon am 29.05.2009 · 19:42

    @Thomas Scholz:
    > Bücher zum Umgang mit der deutschen Sprache habe ich zuhauf gelesen und gekauft; ein paar Rezensionen sollte sich schon hinbekommen.

    Das würde mich (und bestimmt auch andere hier) freuen.

  15. GwenDragon am 30.05.2009 · 12:32

    A propos deutsche Sprache im WWW: die meisten Webagenturen oder Besitzer von Webseiten beherrschen noch nicht einmal das Attribut lang.

    Wenn ich mir Mercedes-Benz TV ansehe, dann wimmelt es zum Beispiel in der Navigation so von englischen Ausdrücken oder Anglizismen. Aber nur das Element html besitzt ein lang-Attribut.

    Ich stelle mir gerade mit Gruseln vor, was ein Screenreader dazu „sagt“, es sei denn er erkennt laut Wörterbuch das pseudo-anglophone Werbezeugs trotzdem als dem Sprachbereich Englisch zugehörig.

    Aber vielleicht ist deren CMS auch zu dumm gestrickt.

  16. Manu am 12.06.2009 · 01:10

    Ja, das leidige "Ich auch, ich auch...": Gerade bei den dutzenden ReTweets vom selben Artikel liegen meine Nerven meist blank (obwohl ich zugeben muss, mich auch manchmal an der großen Suppe beteiligt zu haben ☺). Mittlerweile ist es ja schon soweit, dass ich garnicht mehr meinen RSS-Reader zuhilfe nehmen brauche.

    Zu nummerierten Listen: Ich kann mir das nur so vorstellen, dass diese (bei vielen) in unserem Unterbewusstsein eine sehr positive Reaktion auswirken. Diese Zahlen im Titel signalisieren uns/mir wohl einen handverlesenen "Best of content", was auch ziemlich gut wirkt (zumindest bei mir). ☻