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Die Zukunft von gestern

H Beam Piper. Public Domain, Wikipedia.

Eben habe ich eine Geschichte H. Beam Pipers aus dem Jahr 1951 gelesen: Day of the Moron. Sie beginnt so:

There were still, in 1968, a few people who were afraid of the nuclear power plant.

Die deutsche Übersetzung von 1972 verlegt die Handlung auf 1988, vermutlich um »die Zukünftigkeit« zu erhalten. Derlei Eingriffe sind in übersetzten Texten hierzulande bis heute so üblich wie vergeblich.

Pipers Erzählung wurde in diversen Science-Fiction-Sammlungen veröffentlicht, obwohl Technik und Wissenschaft in ihr nur eine Nebenrolle spielen. Und doch läuft sie heute, in Zeiten des wohl begründeten Ausstiegs aus der Kernkraft, in das Problem vieler SF-Geschichten: Die beschriebene Zukunft ist für uns Vergangenheit, und sie sieht anders aus. Dem naiven Leser, den sich deutsche Herausgeber offenbar als Zielgruppe vorstellen, kann das den Genuß verderben.

Ich aber mag es.

Eine wirklich gute Idee hält es aus, von der Geschichte überholt zu werden. Beispiele dafür sind fast alle Romane Philip K Dicks und zumindest einige John Brunners oder Harry Harrisons.
Vielleicht lernt man sogar, ein wenig vorsichtiger mit Aussagen über die Zukunft umzugehen. Irgendwann lebt man nämlich darin. Wir zum Beispiel. Jetzt. Wie selten einem das bewußt ist …

Worauf will ich hinaus? Eigentlich auf gar nichts. Mich reizt nur gerade die Idee, eine Geschichte zehn Jahre in die Zukunft zu legen, die beinahe zu jeder Zeit spielen könnte. Und wenn aus der beschriebenen Zukunft eine alternative Vergangenheit geworden ist, möchte ich den Text noch einmal lesen.
Was das wohl für ein Gefühl ist?

2 Kommentare

  1. Kaiser am 23.04.2012 · 07:39

    »"Anläßlich der Neuaflage hatte ich die Absicht, dieses vor fünundzwanzig Jahren geschriebene Buch ein wenig zu überarbeiten, also gewissermaßen zu aktualisieren, doch nachdem ich es durchgesehen hatte, begriff ich, daß sich das nicht machen läßt. Ich habe es zu einer Zeit geschrieben, als es den Terminus "Astronauten" eigentlich nicht gab, so daß viele, sogar gebildete Leute ihn mit dem vertrauteren "Argonauten" verwechselten.(...)«

    Stanislav Lem a.d. Vorwort der 8. polnischen Auflage von "Die Astronauten" (übersetzt von Klaus Staemmler) vermutlich 1976.

    Ich lese diese Bücher gerade deswegen. Wenn Du eine Kopie des Vorwortes willst, einfach melden. Ich schicke dann Fotos.

  2. Sergej am 25.05.2012 · 12:57

    Literatur oder Aufsätze aus der Vergangenheit über die (inzwischen (angeblich) eingetroffene) Zukunft sind immer lesenswert! Auch wenn kaum eine der Vorhersagen eintritt, lernt man doch etwas über die Visionen, Hoffnungen und Ängste der vergangenen Jahrzehnte. Es gibt kaum Literaturthemen, aus denen man besser den jeweiligen Zeitgeist herauslesen kann.
    Wenn die Welt (oder die Natur) in 100 Jahren entgegen vieler Befürchtungen doch nicht untergegangen oder unlebenswert geworden ist, wird man sicherlich über viele der heutigen Zukunftsvisionen schmunzeln...