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Überwach statt überwacht

Ich wurde 1973 geboren. In der DDR. Meine Mutter war damals 20 Jahre alt – 15 Jahre jünger als ich heute also. Das kann ich noch immer nicht fassen.

Sie war Krankenschwester, hatte zuvor aber – wie ich viele Jahre später – Journalismus in Leipzig studiert. Da wollte die Stasi sie als »Informatin im westlichen Ausland« anwerben und zum Abbruch der Schwangerschaft überreden. Denn ein Spitzel mit Familie ist unzuverlässig. Sie warf den Stasi-Mitarbeiter raus – Ende des Studiums und ihrer Karriere. War ich dieses Opfer wert?

Viele ihrer Freunde waren Studenten. Junge Menschen können oft noch selber denken – sie sehen genau, was nicht stimmt mit ihrer Umwelt. Und sie reden darüber.
In der DDR galten sie daher als potentielle Verbrecher. Ein komplexes System sollte sie zu »altem« Denken erziehen – Pionierorganisation, FDJ, GST etc. – aber das funktionierte nur mäßig.
Die »Führungskräfte« wußten das. Deshalb versuchten sie, einfach jeden zu kontrollieren. 1973 hatte die Stasi mehr als 52000 offizielle Mitarbeiter, und sie wuchs schnell. Die Menge der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) war ungefähr doppelt so hoch. Jeder kannte mindestens einen offiziellen Mitarbeiter der Stasi und zwei inoffizielle – wissentlich oder nicht.

Zurück zu unserem Alltag: Meine Mutter war nicht nur mit Studenten befreundet, sondern auch mit ehemaligen politischen Häftlingen: Menschen, die eine Republikflucht oder ähnlich »staatsfeindliche Aktionen« versucht hatten. Sie hatten das wahre Gesicht des Staates gesehen – und waren daran zerbrochen.

Ich erinnere mich an eine Frau, die niemandem in die Augen sah. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich eingeschüchert und irgendwie … verantwortlich. Aber auch hilflos. ›Beklommen‹ trifft es vielleicht.

Später war meine Mutter mit einem Mann befreundet, der vom Westen in den Osten geflohen war.

Kurz: Sie war die perfekte Überwachungskandidatin. Und sie wurde auch überwacht. Aber nicht perfekt.

Die IM waren überall: Meine Lehrer, ihre Arbeitskollegen, die Nachbarn … Freunde.
Ich bemerkte lange Zeit wenig davon. Doch als ich 9 oder 10 Jahre alt war, habe ich einmal mit einem Freund »Telefonstreiche« gespielt: Leute mit komischen Namen aus dem Telefonbuch herausgesucht und Quatsch erzählt. Beim vierten oder fünften Versuch – noch ehe ich überhaupt eine Nummer gewählt hatte – sprach plötzlich eine Frau dazwischen: »Hört auf damit!«.

Nach dem ersten Schrecken habe ich eine Weile gebraucht, um zu verstehen: Da gab es irgendwo Menschen, deren Beruf es war, uns beim Telefonieren zuzuhören. Sie standen morgens auf, aßen ihr Frühstück, gingen ganz normal zur Arbeit – und dann brachen sie in unsere Privatsphäre ein.

Von da an ging ich sehr, sehr vorsichtig mit dem Telefon um. Keine Verabredungen, nichts Persönliches oder Politisches. Im Grunde war es kein Telefon mehr.

Nach der Wende hätte ich unsere Stasi-Akte ansehen können. Bis heute schiebe ich das vor mir her; vielleicht mache ich es nie. Denn auf die Namen kommt es nicht an.
Spitzel sind austauschbar. Sie sind eigentlich nur Dinge, keine Menschen. Das Grauen liegt nicht in dem, was ein Spitzel denkt oder fühlt, sondern darin, daß er das Private zerstört und die Unschuldsvermutung, die ja politische Freiheit erst möglich machen.

Ich habe Politikwissenschaft studiert. Aber wenn ich die Diskussionen zur Vorratsdatenspeicherung lese, zur Online-Durchsuchung, zur Stasi 2.0 – dann treten all meine sachlichen Bedenken zurück hinter den initialen Schrecken meiner Kindheit, den eine anonyme Stimme am Telefon in mir ausgelöst hat.

Der Einzelne fühlt sich nicht sicherer, wenn er überwacht wird. Auf ihn kommt es aber an, wenn wir überhaupt etwas schützen wollen.

6 Kommentare

  1. David am 19.02.2009 · 17:36

    Ich bin zu jung um von den damaligen Zuständen etwas mitbekommen zu haben, kenne sie aber eben von Zeitzeugenberichten wie diesem. Ich find es schade, dass die breite Masse heutzutage offenbar kaum einen Gedanken mehr an privatsphäre und Datensicherheit verschwendet und sich unter dem Vorwand wie "Terrorgefahr" o.ä. solche Gesetze aufdrücken lässt.

  2. GwenDragon am 19.02.2009 · 17:41

    Gruselig, so etwas als Kind zu erfahren, überwacht zu werden.
    So eine Erfahrung ist im Nachinein traumatisch, denke ich.
    Immer das Gefühl, irgendwie nicht mehr allein, privat zu sein.

    Aber wenigstens verharmlost du die DDR nicht wie ein ehemaliger guter Freund von mir, der fand alles ok was da lief.

    Ich kann mir vorstellen, dass es dich gruselt, eure Stasi-Akte einzusehen. Wer weiß, wer da euch alles bespitzelt und behindert hat und wobei.
    Vertrauen ist da schon ziemlich angegriffen, wenn nicht sogar tiefgründig zerstört.

    Wer einmal den Griff des Staates nach der eigenen Freiheit, dem Leben gespürt und unschuldig (was immer das auch ist) erlitten hat, lässt sich freiheitseinschränkende, unterdrückende Maßnahmen nicht mehr bieten.

    Sicher ist der Datenschutzmissbrauch oder die Online-Überwachung nichts im Vergleich zu alten und neuen autoritären Systemen (die es auch in der BRD noch gibt). Allerdings möchte ich dagegen angehen, denn mein Leben und die Informationen darüber gehören mir, nicht irgendwelchen Organisationen, Institutionen oder dem Staat allgemein.

    Der Kampf gegen mangelnde Privatsphäre und Datenmissbrauch muss weiter getätigt werden. Die Unverletzbarkeit von Wohnung, Leben, Körper, das Brief- oder Telekomunikationsgeheimnis darf nicht für eine Terrorangst ausgehebelt werden.

  3. Thomas Scholz am 19.02.2009 · 18:13

    @GwenDragon: Traumatisiert hat es mich nicht gerade – ich habe weitaus Schlimmeres erlebt – aber immerhin soweit geprägt, daß ich in der Diskussion mehr sehe als eine abstrakte »Güterabwägung«. Diese sehr persönliche Seite fehlt mir oft, wenn das Thema besprochen wird; deshalb wollte ich meine Sicht einmal darstellen.

    @David: Seltsamerweise scheint die eigene Erfahrung für die meisten Leute keine Rolle zu spielen. Unsere Kanzlerin ist ein gutes Beispiel hierfür. Oder ein schlechtes – wie man’s nimmt.

    Vielleicht hast du sogar einen Vorteil: Du bist noch nie von einem totalitären System eingeschüchtert worden, und du brauchst auch kein schlechtes Gewissen zu haben, weil du es durch stille Duldung eventuell irgendwie gestützt hast (darin liegt meiner Meinung nach die Wurzel der von GwenDragon beschriebenen »Nostalgie«, die mir jedesmal Das Große Würgen in den Hals treibt).
    Ein »Du warst ja nicht dabei« kann nie ein Argument gegen deine Urteilskraft sein. Man muß kein Koch sein, um zu bemerken, daß das Essen nicht schmeckt.

  4. David am 10.04.2009 · 18:17

    @Thomas Scholz: Und dennoch, oder gerade deswegen(?) erschrickt es mich immer wieder, welches Desinteresse im Bereich Datenschutz besteht. Haben wir aus der Geschichte nichts gelernt?

    Eine gute Doku, wo wir heute schon stehen ist im ZDF zu sehen: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/729912
    Ich habe darüber auch einen Beitrag auf meinem Blog geschrieben.

  5. wella am 16.06.2009 · 14:29

    teilweise mag es zwar dem bund helfen - doch ich finde es einen zu derben eingriff in die persönlichen rechte, wenn alles aufgezeichnet und "für jeden" sozusagen zugänglich ist.. wo hat man in gewisserweise eine 2. ddr

    ich bin zwar zum ende dieser zeit geboren wurden.. doch es ist erschreckend wenn ich von verwandten hören wie sie zu diesen zeiten in schrecken gelebt haben, wegen nichts.. nur weil die stasi so penetrant war.

  6. Ronin am 19.03.2011 · 03:30

    Hallo Thomas, hallo Webmaster,

    hier meine persönliche Meinung zu Deiner Geschichte,

    nachdem ich Deinen Werdegang betrachtet, bzw. gelesen habe, müßtest Du doch erst recht, sagen wir mal, traurig sein, weil Du vom Regen in die Traufe gekommen bist, denn der Überwachungsstaat wie in der ehemaligen DDR, ist hier im Westen ebenfalls schon lange vor Deiner Zeit Realität, nur mit moderneren Mitteln und nicht so öffentlich wie bei der Stasi.

    Als Beispiel führe ich jetzt nur die Überwachung im Netz an. auf den Rest will ich garnicht erst eingehen. (Das Internet ist mir persönlich heilig).
    Denn: Tatsache ist, die EU wird das größte Gefängnis weltweit, (Alcatraz ist nur ein Witz dagegen), Bürgerrechte werden kontinuierlich durch die Hintertüre abgebaut und europaweit angeglichen. Die Mehrzahl unserer absolut dummen, obrigkeitshörigen Bevölkerung hat nicht umsonst gerne den Versprechungen von dem Politverbrecher Kohl, (16 Jahre aussitzen und bevormunden der DE-Bürger), geglaubt. Da dies inzwischen in DE Tradition ist, einer Partei die Stange zu halten, komme was da wolle, wird dies in jeder Familie automatisch weiter gegeben.

    Die Ossitussy als Kanzlerin aufzubauen kommt nicht von ungefähr. Damit wird die Politik die den Osten platt gemacht hat im Westen, schlicht und einfach fortgesesetzt. Unsere Sozialnetze wurden geplündert um die Einheit zu finanzieren, obwohl alle Fachleute Kohl graten hatte, die Einheit über die üblichen Steuern zu finanzieren. Ex-Kanzler Kohl hat uns dieses Desaster bereitet und die Ossitussy hat noch eins draufgesetzt, indem Sie den Westen, (Kommunen und Gemeinden), an den Rand der Insovenz getrieben hat, ohne für den finanziellen Ausgleich der per Gesetz beschlossenen Verbindlichkeiten zu sorgen.

    Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen z.B. den Frieden in Deutschland am Hidukush zu verteidigen. Eine derartige Verarschung der Bürger ist einmalig in unserer deutschen Geschichte.

    Aus unserer vergangenen Geschichte ist dokumentiert das ein rößenwahnsinniger österreichicher Büger zum deutschen Kanzler aufgestiegen ist und das deutsche
    Volk ins Verderben gstürzt hat, gleiches geschieht zur Zeit aber derart verdeckt, dass dies kaum Jemand so richtig registriert. Besonders betroffen davon ist der Personenkreis, der Hartz VI-Empfänger. Der Hohn der ganzen Geschichte ist der, dass man diesen Personenkreis noch als Kunden bezeichnet.

    Ich bin nach wie vor der Meinung das der Staat für seine Bürger da zu sein hat und nicht umgekehrt. Seit der Regierung Schröder/Fischer ist der per Gesetz verordnete Rentendiebstahl, (rechnerich, insgesamt 10 Jahre), einschließich der Arbeitszeitverlängerung (bis 67 Jahre), verabschiedet worden und die Bevölkerung ist inzwischen nicht nur gespaltet, sondern auch an den Rand der Armut getrieben worden. Die heutigen Rentner die unseren Staat nach 1945 wieder aufgebaut haben wurden aus Dankbarkeit mit vielen Jahren von Nullrunden beglückt.

    Über die Verfehlungen der amtierenden Politmafia ließe sich noch reichlich referieren, wie z.B. über das Bankensystem und das Gesundheitssystem, (warum bezahlen wir noch Beiträe zur Sozialversersicherung wenn Ärzte Ihre Leistungen, ermächtigt per Gesetz), Eintrittsgebühr inbegriffen, dem Bürger in Rechnung gestellt erden.
    FAZIT:
    Der deutsche Staat wird gegen die Wand gefahren. Hinzu kommt noch das für die deutschen Banken innerhalb von wenigen Tagen ein Schutzschirm über etlichen Milliarden €uro bereit gestellt wurden. Bei den Hartz-VI Empfängern wurde üwochenlang über 5 €uro gstritten.

    Dies und noch mehr läßt mich an der Ernsthafigkeit der aktuellen Politik zweifeln, solange die amtierende, aus meiner Sicht, kriminellen Politmafia nicht abewählt wird.

    Für mich habe ich entschieden, dass ich zu einem mir genehmen Zeitpunkt zum
    bestgehaßten Rentner, (Politrebell), zwangsweise aufsteigen werde nur mit meinen Kommentaren von der jeweils amtierenden Politmafia mehr als ein Dorn im Auge sein werden, (Das Wort ist stärker als jede andere Waffe).

    Ich könnte durchaus noch weitere Beispiele wie z.B. die z.Zt. aktuelle Wndehals Atompolitik der verlogenen Politmafia anführen auf Grund der Aktualität.

    Meine persönliche Erkenntnis:
    Ich schäme mich deutscher Staatsbürger zu sein. Ich würde gerne trotz meines Alters die BRD verlassen und politisches Asyl beantragen, ist aber wegen der vorhandenen Demokratie in der BRD, außerhalb der EU nicht möglich.

    ..und damit will ich es für heute belassen, in der Hoffnung anonym zu bleiben
    bis ich an die Öffentlichkeit gehe, (im Netz),

    m.f.g. Ronin