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Ludwig Reiners: Die Stilfibel

coverLudwig Reiners (1896—1957)
Stilfibel. Der sichere Weg zum guten Deutsch.
Taschenbuch, 267 Seiten
DTV 1993, 26. Auflage
ISBN: 3423300051
Erstauflage: C.H. Beck 1951

Das Handwerk Schreiben kann jeder lernen. In den nächsten Wochen will ich ein paar Bücher vorstellen, die dabei helfen. Ich beginne mit Ludwig Reiners »Stilfibel«, die heute noch vielen Autoren als Referenz und Vorlage dient.

Aufbau

  • Erklärung sprachlicher Fachausdrücke (S. 15—22)
  • 1. Zwanzig Verbote (S. 25—63)
  • 2. Zwanzig Stilregeln (S. 67—157)
  • 3. Zwanzig Stilratschläge (S. 161—242)
  • Anhang (S. 243—267)

Die »Fachausdrücke« würden wir heute vielleicht nicht mehr so bezeichnen: Wortarten, Beugung, Satzteile und -arten. Reiners erklärt das Verb, die Konjugation, das Prädikat oder den Nebensatz – die Grundzüge der deutschen Grammatik.

Hier schon spüren wir Zeit und Publikum des Buches: 1951 konnte kaum jemand auf eine geordnete Schulbildung zurückgreifen; die Einführung werden viele Leser als hilfreich empfunden haben. Freilich gibt es heute noch Gymnasiasten, die eine Präposition selbst dann nicht erkennen, wenn man sie ihnen ins Gesicht rammt …

Die drei Hauptteile hat Reiners nicht nach sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten gegliedert, sondern danach, wie schwer sie zu lernen sind. Mehrere Regeln faßt er zu Lektionen zusammen, deren knifflige Punkte er in einem Dialog zwischen »Lehrer« und »Schüler« rekapituliert. Darauf folgen Übungen, in denen der Leser das neue Wissen selber ausprobieren kann.

Wenn man beim ersten Lesen akzeptiert, daß Reiners die beste Reihenfolge ausgewählt hat, dann funktioniert der Aufbau recht gut: Eine einzelne Regel umfaßt höchstens vier Seiten, eine Lektion achtzehn. Das kann man sich einteilen.
Wer »mit Bettwärme« liest – zum Frühstück und vor dem Einschlafen jeweils eine Regel – der schreibt nach einem Monat besser als fast all seine Freunde.

Inhalt

Jeder kann gut schreiben. Der Trick besteht darin, nicht schlecht zu schreiben. In den zwanzig Verboten will Reiners uns genau diesen Trick beibringen. Wir sollen auf umständliche Sätze verzichten, auf den Passiv oder Papierdeutsch, dann strömt wieder Blut durch unsere Sprache. Unsere Texte leben.

Reiners zeigt nicht nur auf diese Irrläufer, sondern er führt auch vor, wie wir sie ersetzen können.

Doch einige der Verbote treffen uns heute nicht mehr: Gleich das erste richtet sich gegen den Mißbrauch des Wortes »derselbe«:

Der Ballon befand sich gerade über dem Garten des Herrn Kommerzienrates Mayer, als derselbe platzte.

So schreibt inzwischen niemand mehr, nicht einmal versehentlich. Auch so nicht:

ausgestopfte Tierhändler, zahlreiche Familienväter

Die falsch plazierten Adjektive haben sich – in der hier angesprochenen Form – nicht in unserer Schriftsprache halten können. Doch erfüllen auch die veralteten Regeln und Beispiele heute wieder einen Zweck: Sie führen uns vor, daß Sprache nicht immerzu verfällt. Mir ist beim Wiederlesen dieses Buches erst bewußt geworden, wie dicht Sprachkritik und Kulturpessimismus oft beieinanderliegen. Viel zu dicht.

Im nächsten Abschnitt (Stilregeln) merkt man bald, wie wenig diese Aufteilung paßt: Die Reihenfolge hätte auch anders aussehen und funktionieren können. Die Probleme mit Haupt-, Fremd- und Modewörtern versteht der Leser ebenso leicht wie beispielsweise die im ersten Abschnitt angesprochenen getrennten Verben.

Der wichtigste Unterschied zum vorhergehenden Abschnitt liegt in der Aktualität der Probleme: Wir brauchen immer noch kürzere Sätze, weniger Partizipien und mehr Gefühl für die passende Stilschicht.

Im dritten Teil spricht Reiners die »großen« Fragen an: Wie strukturiere ich meinen Text? Wie klinge ich natürlicher? Wie feile ich an meinen Entwurf?

Ich glaube, daß viele Texte nicht geschrieben werden, weil ihre Autoren die Antworten auf diese Fragen nicht kennen. Gerade hier wirkt das Buch noch ganz frisch und praxisnah.

Fazit

Wer Stil und Sprache lehrt, der sitzt schnell auf dem Thron. Reiners, der als Lehrer an seine Schüler schreibt, führt uns das deutlich vor. Der Leser kann aus seiner Sicht oft nicht zwischen Recht haben und Rechthaberei unterscheiden. Er versteht zu wenig von der Sache, oder ihm fehlt die hierfür nötige Distanz.

Zumindest im zweiten Punkt kommt uns das Alter des Buches sehr gelegen: Sobald wir ein paar Seiten lang dem Autor glauben, stößt er uns mit einer antiquierten Wendung – Kommerzienrat – oder einem schrägen Beispiel wieder aus dem Text:

Der Lehrer ohrfeigt den Schüler.

Ich finde das hilfreich. So werde ich immer wieder daran erinnert, den Autor in Frage zu stellen. Der Zeitgeist selbst gerät damit zum Stilmittel – diese Lektion erteilt uns Reiners unfreiwillig.

Damit will ich nicht sagen, das Buch sei durchweg streng und trocken. Reiners schreibt so, wie wir es von einem Stillehrer erwarten: knapp, mit Beispielen, in lebendigem Deutsch. Hier und da blitzt auch ein leiser Humor auf, den ich sehr mag:

Als Papierdeutsch wird jene umständliche, vermittelst zahlreicher Kanzleiausdrücke aufgeputzte bzw. im Rahmen des Möglichen verlängerte und in niemals ein Ende findende Sätze und Klemmkonstruktionen gepreßte Ausdrucksform entschlußloser Schreibernaturen bezeichnet (da haben Sie gleich ein Muster), die eine ganze Reihe der schon gerügten Stilfehler in sich vereinigt.

Wir können die Stilfibel heute noch – oder wieder – mit Gewinn lesen.

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Ein Kommentar

  1. Klaus am 14.09.2009 · 13:37

    Hi Thomas,

    da ich seit kurzem auch blogge, sehe ich die Grenzen meiner Autorenfähigkeit überdeutlich.
    Das Buch habe ich mir deshalb direkt mal bestellt.